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Literatur

Welt ohne Zentrum

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMontag, 06.05.2024
Von der Gegenwart weiß ich nichts, weil ich dabei gewesen bin‘ – immer wieder in den letzten Jahren muss ich an diesen Satz denken. Er stammt aus den Tagebüchern des deutsch-jüdischen Autors Victor Klemperer, der ihn während des Naziregimes, inmitten von Leid und Unsicherheit, fast beiläufig notierte.“ So beginnt das neue Buch des belgischen, niederländischsprachigen Autors Stefan Hertmans, sein erster ins Deutsche übersetzter Essayband. Das für diesen Autor charakteristische Pendeln zwischen Geschichte und Gegenwart zur Erkenntnis der letzteren, zeigt sich damit gleich am Einstieg.

Meine Vorstellung diesen Bandes als Buch des Monats und dieses herausragenden Romanciers ist möglich, weil die BLÄTTER FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK, diesen Beitrag für forum.eu frei geschaltet haben.

Hertmans‘ viel übersetzter Roman „Krieg und Terpentin“ oszilliert zwischen der Welt seines malenden Großvaters, der die Schrecken an der belgischen Front im Ersten Weltkrieg erlitt, und der Welt des 1951 geborenen Enkels. Dass dieser bisher längste und blutigste Stellungskrieg der Geschichte in Belgien wie in Frankreich bis heute der Große Krieg heißt, verweist auf das langandauernde Trauma, von dem der Enkel mit durch Dokumente entflammter Fantasie erzählt. Dabei schlüpft er bei Kriegspassagen zuweilen sogar in die Ich-Form.


Ähnlich verfährt Hertmans in seinem zeitlich wie räumlich weit ausgreifenden Roman „Die Fremde“, in dem er Geschichten eines mittelalterlichen Flüchtlingsliebespaares erzählt. Das packt er aber nicht in die Form eines Historienromans, vielmehr begegnet der Erzähler in der Tradition des von ihm bewunderten W. G. Sebald bei seiner Recherche heutigen Schutzsuchenden. Es ist eine tausend Jahre alte und zugleich verstörend aktuelle Geschichte über Vertreibung und Flucht.

Bezeichnenderweise vermischen sich auch in Hertmans prägnantem Roman „Der Aufgang“, der die Geschichte des flämischen Kollaborateurs und SS-Manns Willem Verhulst (1898-1975) erzählt, Dokumentarisches und Autobiographisches. Die Gespenster der Geschichte hausen in Hertmans‘ Wohnhaus, in dem einst Verhulst lebte. Wie auch Sebald montiert Hertmans dabei Fotos spannungs- und assoziationsreich zusammen. Allerdings kann der flämische Autor, der auch Theaterstücke verfasst, anders als sein deutscher Kollege meisterhaft Dialoge schreiben. 

Und das Motto seines Romans „Die Fremde“ könnte vor jedem seiner vier auf Deutsch lieferbaren Bücher stehen: Es stammt aus Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“: „... aber die Form der Zeitlosigkeit ist das Jetzt und Hier“. Wenn große Literatur nach Hertmans in der Spannung zwischen dem offiziellen Gedenken und dem, woran wir uns persönlich erinnern, entsteht, dann ist dieser Erzähler und Lyriker, Essayist und Dramatiker auf dem Weg zum Klassiker. Er zeigt planetarische Konflikte in ihren regionalen Auswirkungen.

Über Gedenken und Erinnern geht es in seinem Beitrag, den uns die von der Akademie der Künste herausgegebenen Zeitschrift SINN UND FORM freigeschaltet hat. So kann man den Essayisten Stefan Hertmans kennenlernen und dann gegebenenfalls zu seinem ersten Essayband "Die Suche nach der Gegenwart" greifen.

Gedenken und Erinnern - Was uns von unseren Nachbarn unterschiedet

Bei dem Beitrag aus den BLÄTTERN FÜR DEUTSCHE UND INTERNATIONALE POLITIK wird die Spannbreite dieses Schriftstellers deutlich, obwohl ich kaum auf den Lyriker und Theaterautor eingehe. Aus dem Essay in SINN UND FORM wird klar, wir sind in Europa unverkennbar verbunden, aber wir haben andere Historien, die berücksichtigt werden sollten.

Wenige Beispiele:

Auf dem Gebiet, das wir heute zumeist Flandern nennen, stießen schon lange vor der Gründung Belgiens die germanische und die lateinische Kultur aufeinander, entstand ein polyglottes Wirrwarr und wurde zum Nährboden einer lebendigen, vielschichtigen Kultur.

Der belgische Staat war kein so völlig künstliches Konstrukt, wie immer wieder behauptet wird, sondern sollte in einer für das 19. Jahrhundert typischen staatsbildenden Weise einer jahrhundertealten Grenzkultur eine Gestalt geben, auch wenn das mit der Unterdrückung der Sprache der Mehrheit einherging.


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